Mittwoch, 15. Januar 2014

Religionsfreiheit und freie Religion

Spannend und umstritten ist sie allemal, die “Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae” des Zweiten Vatikanischen Konzils (7. Dezember 1965). Dieser Tage hatte ich einen Vortrag darüber zu halten, das gab mir Gelegenheit, diesen wegweisenden Text wieder zu entdecken. Nach fast fünfzig Jahren ist er aktueller noch als zur Zeit seines Entstehens. Liest man aktuelle Berichte über verfolgte Christen, wie etwa den jährlichen Index von Open Doors, oder Nachrichten von Menschen, die um ihrer Religion willen Gewalt erleiden (Pew Research nennt vor allem Juden, Christen und Moslems), dann ist evident, dass es um die Religionsfreiheit heute nicht gut bestellt ist.
Aber warum macht sich gerade die Katholische Kirche auf einem Konzil Sorgen um die Religionsfreiheit aller Menschen, nicht nur um Religionsfreiheit von Katholiken? Widerspricht das nicht dem eigenen Anspruch, das Evangelium für alle Menschen zu vertreten? Schadet das nicht der Kirche? Wie kommt das Konzil dazu, so etwas zu fordern? Das ergibt sich, wie das Konzil sagt, aus dem christlichen Glauben selbst. Denn das Christentum ist die Religion der Freiheit. Jesus Christus ist in die Welt gekommen und am Kreuz gestorben, um allen Menschen die Freiheit von der Sünde zu schenken. Und um der durch die Erlösung erneuerten Würde des Menschen willen, kann der Glaube nur in Freiheit angenommen werden. Glaube ist nämlich nicht die Übernahme von irgendwelchen Sätzen, sondern die freie Antwort auf die Anrede Gottes, die immer schon an mich ergangen ist. Nur in Freiheit kann ich mich Gott ganz und gar anvertrauen - und keinen geringeren Anspruch stellt der Glaube.
Der Glaube kann also nur dann gelebt werden, wenn jede und jeder Einzelne sich selbst frei für den Glauben entscheiden kann (individuelle Religionsfreiheit) und wenn eine Religionsgemeinschaft, solange sie im Rahmen der Gesetze agiert, also auf Gewaltausübung im Namen der Religion verzichtet, ihren Glauben frei gemeinsam ausüben und verkünden kann (kollektive Religionsfreiheit). Beides ist von Dignitatis humanae gefordert, und beides garantiert ein demokratisches Staatsgefüge zumindest in der Theorie.
Die Erklärung verpflichtet freilich auch die katholische Kirche und die Katholiken zu einer bestimmten Haltung. Der Respekt vor anderen Menschen gebietet, sie auch dann zu achten, wenn sie einen Glauben haben, den ich nicht nachvollziehen kann. Und die Religionsfreiheit verlangt auch zu akzeptieren, wenn jemand eine Religionsgemeinschaft verlassen möchte. Das fällt vielen Religionsgemeinschaften sehr schwer und ist heute für viele Konvertiten ein Problem, in manchen Ländern riskieren sie damit sogar ihr Leben.
Das Christentum kann nur dort wachsen und sich festigen, wo der Raum der Freiheit groß und gut abgesichert ist. Diese Erkenntnis haben die Konzilsväter mit bewundernswertem Weitblick vertreten.

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