Mittwoch, 29. Januar 2014

Krumme Zeilen IV

Ursprünglich wollte ich ja nur über Noach und einen neutestamentlichen Vertreter der Berufenen schreiben, aber wenn man in die Schrift hineinsieht, stechen viele sprechende Beispiele hervor, die in einer einigermaßen guten Darstellung nicht fehlen sollten. Sie decken verschiedene Facetten der Fragestellung ab, verbunden durch ein gemeinsames Moment: alle werden in der Schrift als Vorbilder dargestellt, sind aber eindeutig mit Fehlern behaftet.
Zu den Kerngestalten der Geschichte Israels gehören ohne Zweifel Mose sowie seine Geschwister Aaron und Mirjam. Mose wird gerettet, weil die Tochter des Pharao sich des kleinen Buben erbarmt und ihn ins Haus aufnimmt. Weil er einen Ägypter erschlägt, im Zorn darüber, dass dieser einen Hebräer schlecht behandelt, muss er fliehen. Als Gott ihn beruft, das Volk durch die Wüste in das Gelobte Land zu führen, ist er alles andere als erfreut. Er wehrt sich, wie Gottes Wort überhaupt bei Mose oft auf Widerrede stößt. Auf sein Drängen hin wird ihm Aaron als Redner zur Seite gestellt, weil er sagt, er könne ja nicht reden. Er tritt als Mittler zwischen den Israeliten und Gott für sein Volk ein, kann sich aber auch sehr aufregen und zertrümmert die Bundestafeln im Zorn über das Handeln des Volkes.
Aaron ist zwar meistens ein treuer Gefolgsmann seines Bruders und erfüllt seine von Gott erhaltenen Aufgaben, wenn allerdings die Gemeinde auf ihn einredet, kann er schon einmal Goldene Kälber gießen, statt sich an die Gebote Gottes zu halten. Mirjam ist vor allem für den Gesang und die Pauke bekannt, das Freudenlied nach dem Durchzug durch das Meer. Aaron und Mirjam unterhalten sich dann über die Frau des Mose, die eine Fremde ist, eine Kuschiterin. Hat er keine Frau aus dem eigenen Volk gefunden? Tatsächlich sind sie eifersüchtig und meinen, sie hätten es eher selbst verdient, mit Gott zu reden, als ihr Bruder. Mose muss für sie einspringen, um das Verhältnis zu Gott wieder ins Lot zu bringen. Dennoch werden alle drei das Gelobte Land nicht lebend erreichen.
Mose, der Führer der Israeliten, ist einerseits jähzornig, anderseits auch etwas feige, wenn es ums Reden geht. Besonders mutig ist auch Aaron nicht, sondern scheut eher den Konflikt, auch wenn es um die Sache geht. Mirjam ist zwar vorbildlich für das Volk, aber auch eifersüchtig. Doch genau die drei sind es, die Gott vor seinem Volk herschickt. Mit ihnen kann und soll sich jede Israelitin, jeder Israelit und auch jede Christin, jeder Christ identifizieren in der Schwachheit, die aber nicht das letzte Wort hat, sondern in den Dienst Gottes gestellt werden soll.

Montag, 27. Januar 2014

Krumme Zeilen III

Gott ruft sein Volk zusammen, so könnte man die Vorgeschichte Israels beschreiben. Die Geschichte der Stammväter, der sogenannten Patriarchen, Abraham, Isaak und Jakob, wird im Buch Genesis ausführlich erzählt. Alle drei sind von Gott auserwählt und gesegnet.
Abraham soll zum Vater des ganzen Volkes werden. Er folgt dem Ruf Gottes, aus seiner Heimat fortzuziehen. Er hat zwar großen Mut, wenn es darum geht, mit Gott zu verhandeln, allerdings ist er im Umgang mit anderen Menschen eher furchtsam. In Ägypten und in Gerar lässt er seine Frau Sara jeweils sagen, sie sei seine Schwester, damit der Pharao Interesse an ihr findet und es Abraham gut geht. Da Sara keine Kinder mehr bekommen kann, gebiert ihre Magd Hagar den Ismael. Erst dann erfüllt sich an Sara die Verheißung, obwohl sie Gott sogar ausgelacht hat dafür, und sie gebiert den Isaak. Dann aber geht der Streit zwischen den Frauen los. Auf Saras Geheiß jagt Abraham Hagar mit Ismael in die Wüste, wo Gott sich um die beiden kümmert.
Isaak hat zwei Söhne, Esau und Jakob. Er selbst zieht den älteren, Esau, vor, seine Frau Rebecca den jüngeren, Jakob. Dem gelingt es auch, das Erstgeburtsrecht für sich zu beanspruchen, indem er es Esau um eine Mahlzeit abkauft und dem blinden alten Isaak vormacht, er selbst sei Esau und habe ihm ein Stück selbst gejagtes Wild zubereitet. Als er daraufhin fliehen muss vor seinem Bruder kommt er zu Laban, seinem Onkel, der zwei Töchter hat, verliebt sich in Rachel, die jüngere. Und bietet seine Arbeit von sieben Jahren als Brautpreis an. Laban stimmt zu, gibt ihm dann aber die ältere, Lea, und erst nachher, um weitere sieben Jahre auch Rachel. Dann geht der Streit los, weil Lea Kinder bekommt, Rachel aber nicht. Daher führen die beiden Jakob auch noch ihre Mägde, Bilha und Silpa, zu. So haben Jakobs zwölf Söhne und seine Tochter Dina vier verschiedene Mütter. Da verwundert es vom Standpunkt moderner Entwicklungspsychologie wenig, wenn die Kinder untereinander nicht immer ein harmonisches Verhältnis haben.
Die Familien der Patriarchen haben durchaus etwas von Patchwork-Familien im modernen Sinn an sich. Die Biographien der von Gott Berufenen sind alles andere als geradlinig. Da sind Abraham, der Migrant, der vor der persönlichen Auseinandersetzung, vor allem mit Sara mitunter zurückschreckt, Isaak mit seiner Vorliebe für gutes Essen und Jakob mit seiner Vorliebe für die Frauen. Warum sind gerade sie für Gott die Garanten für die Zukunft Israels? Vielleicht sind sie gerade deshalb die Berufenen, weil sie nicht perfekt sind, sondern bereit, mit Gott sich auf den Weg zu machen.

Sonntag, 26. Januar 2014

Krumme Zeilen II

Ein bisschen weiter im Buch Genesis wird erzählt, dass das Böse auf der Erde zunimmt. Die Menschen interessieren sich überhaupt nicht mehr für Gott, vermutlich auch nicht besonders füreinander. Da beschließt Gott, das Böse durch eine Flut auszurotten, möchte aber den Gerechten und die Seinen retten. Und dieser gerechte Mensch ist Noach, denn “nur Noach fand Gnade in den Augen des HERRN” (Gen 6,8). Er wird also in der Arche gerettet, bringt nachher ein Opfer dar, Gott schließt einen Bund mit ihm und allem Lebendigen, segnet Gott Noach und seine Söhne Sem, Ham und Jafet. Jeder Regenbogen soll uns Menschen an diesen Bund erinnern. Wer dann weiterliest erfährt, dass dieser gesegnete Noach dem Wein zugetan war. Er war Ackerbauer und Winzer, und er hat offensichtlich heftig über den Durst getrunken. Betrunken liegt er nackt im Zelt, und seine Söhne haben es nicht leicht mit ihm.

Der Gerechte Noach ist also ein Mensch mit Schwächen. Gott hat aber offensichtlich nicht die Schwächen gesegnet, sondern einen Menschen, dessen Vorzug seine Treue Gott gegenüber war, der aber trotzdem auch Fehler hat.

Samstag, 25. Januar 2014

Krumme Zeilen I

Die eigene Unzulänglichkeit wird mir immer wieder deutlich. Ich bin nicht so, wie ich sein möchte, bleibe hinter meinem Ideal zurück und frage mich dann: Kann ich es überhaupt noch verantworten, etwas über den Glauben, die Theologie und die Kirche zu sagen? Mit welchem Recht? Seit einigen Tagen lese ich nun, morgens in der Lesehore, wieder im Buch Genesis. Dabei kommt mir das Sprichwort in den Sinn, wonach Gott auch auf krummen Zeilen gerade schreiben kann. Denn was für Menschen sehen wir hier? Der Gründlichkeit halber beginne ich am Anfang, bei Adam und Eva.
Gott schafft Menschen als sein Abbild, ihm ähnlich, nämlich Adam und Eva, eigentlich Mensch (Adam), Mann (Isch) und Frau (Ischah), erst nach der Vertreibung aus dem Paradies Mensch (Adam) und Leben (Eva), sind nicht das Urbild der Perfektion. Sie wirken eher naiv. Zunächst tun sie, was Gott ihnen sagt, bis jemand anderer kommt, die Schlange, die ihnen etwas Anderes erzählt. Die Schlange behauptet, Gott wolle sie nur übervorteilen, und es wäre doch besser, Gottes Gebote nicht zu befolgen, davon hätten sie eindeutig mehr. Sie sind ganz für Gott zu haben, bis etwas Neues kommt. Und als herauskommt, dass sie sich tatsächlich von Gott abgewendet haben, als nämlich Gott Adam nachgeht und ihn ruft, da schiebt dieser die Schuld ab auf Eva, sie wieder auf die Schlange. Immer ist jemand anderer schuld, Hauptsache nicht ich selbst. Daraufhin müssen sie aber das Paradies verlassen. Das also sind die beiden Urmenschen, naiv, manipulierbar, uneinsichtig und nicht willig, zu ihrem Handeln zu stehen.
Wie werden sie sich wohl über ihre beiden Söhne Kain und Abel gefreut haben. Wie Abel war, wissen wir nicht, Gott mochte ihn aber offensichtlich. Damit kommt Kain nicht klar und wendet sich gegen ihn. Aus Eifersucht erschlägt er ihn, weil das Opfer Abels besser ist, als sein eigenes. Gewalt als Konfliktlösung führt dazu, dass Kain in Zukunft rastlos durch die Welt jagt. Er hat allerdings anders als der "gute" Abel Nachkommen, die dieses Erbe wohl weitertragen. Also auch hier Menschen, die alles andere als vollkommen sind. Ist die Schöpfung also schiefgegangen? Oder ist das der Preis der Freiheit, dass eben auch ein Ergebnis entstehen kann, das nicht unseren Vorstellungen entspricht? Dann ist es vielleicht das Besondere der Menschen, dass ihre Freiheit ein höheres Gut für Gott ist, also die vollkommene Pflichterfüllung?

Mittwoch, 15. Januar 2014

Religionsfreiheit und freie Religion

Spannend und umstritten ist sie allemal, die “Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae” des Zweiten Vatikanischen Konzils (7. Dezember 1965). Dieser Tage hatte ich einen Vortrag darüber zu halten, das gab mir Gelegenheit, diesen wegweisenden Text wieder zu entdecken. Nach fast fünfzig Jahren ist er aktueller noch als zur Zeit seines Entstehens. Liest man aktuelle Berichte über verfolgte Christen, wie etwa den jährlichen Index von Open Doors, oder Nachrichten von Menschen, die um ihrer Religion willen Gewalt erleiden (Pew Research nennt vor allem Juden, Christen und Moslems), dann ist evident, dass es um die Religionsfreiheit heute nicht gut bestellt ist.
Aber warum macht sich gerade die Katholische Kirche auf einem Konzil Sorgen um die Religionsfreiheit aller Menschen, nicht nur um Religionsfreiheit von Katholiken? Widerspricht das nicht dem eigenen Anspruch, das Evangelium für alle Menschen zu vertreten? Schadet das nicht der Kirche? Wie kommt das Konzil dazu, so etwas zu fordern? Das ergibt sich, wie das Konzil sagt, aus dem christlichen Glauben selbst. Denn das Christentum ist die Religion der Freiheit. Jesus Christus ist in die Welt gekommen und am Kreuz gestorben, um allen Menschen die Freiheit von der Sünde zu schenken. Und um der durch die Erlösung erneuerten Würde des Menschen willen, kann der Glaube nur in Freiheit angenommen werden. Glaube ist nämlich nicht die Übernahme von irgendwelchen Sätzen, sondern die freie Antwort auf die Anrede Gottes, die immer schon an mich ergangen ist. Nur in Freiheit kann ich mich Gott ganz und gar anvertrauen - und keinen geringeren Anspruch stellt der Glaube.
Der Glaube kann also nur dann gelebt werden, wenn jede und jeder Einzelne sich selbst frei für den Glauben entscheiden kann (individuelle Religionsfreiheit) und wenn eine Religionsgemeinschaft, solange sie im Rahmen der Gesetze agiert, also auf Gewaltausübung im Namen der Religion verzichtet, ihren Glauben frei gemeinsam ausüben und verkünden kann (kollektive Religionsfreiheit). Beides ist von Dignitatis humanae gefordert, und beides garantiert ein demokratisches Staatsgefüge zumindest in der Theorie.
Die Erklärung verpflichtet freilich auch die katholische Kirche und die Katholiken zu einer bestimmten Haltung. Der Respekt vor anderen Menschen gebietet, sie auch dann zu achten, wenn sie einen Glauben haben, den ich nicht nachvollziehen kann. Und die Religionsfreiheit verlangt auch zu akzeptieren, wenn jemand eine Religionsgemeinschaft verlassen möchte. Das fällt vielen Religionsgemeinschaften sehr schwer und ist heute für viele Konvertiten ein Problem, in manchen Ländern riskieren sie damit sogar ihr Leben.
Das Christentum kann nur dort wachsen und sich festigen, wo der Raum der Freiheit groß und gut abgesichert ist. Diese Erkenntnis haben die Konzilsväter mit bewundernswertem Weitblick vertreten.