Im Alltag leben wir gut mit der Annahme, die Wirklichkeit, die uns umgibt, sei für alle dieselbe. Das setzt voraus, dass meine Erkenntnis der Wirklichkeit auch entspricht. Wenn das so ist, dann können die verschiedenen Zugänge, etwa naturwissenschaftliche, theologische, philosophische oder praktische, im Grunde nicht widersprüchlich sein, weil sie sich ja auf dieselbe Wirklichkeit richten.
Das ist als Gedanke bestechend und meiner Ansicht nach im Grunde auch richtig. Nichtsdestoweniger ist es problematisch. Denn ganz gleich wie, ich untersuche nie die Wirklichkeit selbst, ja nehme sie auch nicht wahr. Ich nehme meine Perspektive wahr und untersuche ein Objekt, das ich selbst zuerst gesetzt habe. Ein obiectum, lateinisch von obicere, entgegensetzen, ist das mir selbst Gegenübergestellte. Eine Sache kann also erst untersucht werden, wenn ich selbst mit meiner Vernunft (dem intellectus agens, wie die klassische Philosophie sagt) sie mir zum Objekt gemacht habe. Soll aber eine Sache gemeinsam untersucht werden, braucht es auch ein gemeinsames Objekt. Das heißt, wir müssen uns vor der Diskussion schon zumindest im Ansatz einigen, was Gegenstand der Untersuchung sein wird.
Was aber ist die Wirklichkeit? Sicher deckt sie sich nicht mit meiner Wahrnehmung davon, denn es ist klar, dass meine Wahrnehmung sich beständig ändert, wenn ich nach neuen Erfahrungen suche. Aber ich habe die Wirklichkeit nie in anderer Weise, denn als wahrgenommene und reflektierte Wirklichkeit zur Verfügung. Auf den Punkt gebracht hat das George Berkley mit dem Hinweis, Sein ist immer wahrnehmen (esse est percipi), das G.W.F. Leibniz aufgenommen und verfeinert hat mit der Rede von der Apperzeption. Über diese Perzeptionen können wir uns miteinander austauschen und sie vergleichen. Dabei ist aber immer die stillschweigende Voraussetzung gemacht, dass alle Wahrnehmungen derselben Wirklichkeit vergleichen. Das ist strenggenommen ein Postulat, denn beweisen lässt sich das nicht. Es ist allerdings notwendig, weil sonst keine vernünftige Kommunikation möglich wäre.
Es ist also sinnvoll, eine gemeinsame Wirklichkeit anzunehmen, der wir uns auf je verschiedene Weise nähern. Dann und nur dann ist über die unterschiedlichen Zugänge ein vernünftiger Diskurs möglich. Dabei ist aber Behutsamkeit geboten, denn die kritischen Anfragen, die an dieses Konzept gestellt werden, müssen ernsthaft bedacht werden.