Die Religion ist zweifellos heute wieder ein Thema, in der Einzahl oder Mehrzahl, meine oder die anderen, positiv oder negativ. Was aber genau eine Religion ist und was der Sinn einer Religion ist, davon gibt es in diesen Diskussionen höchst unterschiedliche und meist nicht ausgesprochene Konzepte. Daniel C. Dennett, Den Bann brechen (S’ 137), nennt drei Zwecke, die seiner Ansicht nach die “beliebtesten” Zwecke von Religionen sind:
- im Leiden zu trösten und die Angst vor dem Tod zu mildern,
- Dinge zu erklären, die sich anders nicht erklären lassen,
- angesichts von Strapazen und Feinden die Zusammenarbeit in Gruppen zu fördern.
Sicher hat eine solche pragmatische Erklärung ihre Berechtigung, problematisch ist sie aber, wenn sie als hinreichend dargestellt wird, denn das ist sie mit Sicherheit nicht. Ja sie ist nicht einmal sehr richtig. Aber sehen wir die Punkte im Einzelnen an.
Im Leiden zu trösten und den Menschen Angst zu nehmen, indem der Tod reflektiert wird, ist sicher ein großer Vorzug. Religion findet sich dort, wo über Anfang und Ende des Lebens nachgedacht wird. Dann muss aber auch darüber nachgedacht werden, ob das Leben insgesamt einen Sinn hat, der über die bloße Endlichkeit hinaus reicht. In der Frage selbst ist bereits ein transzendenter Akt impliziert. Ich muss mich über meine Endlichkeit erheben, in dem Moment, in dem ich die Frage stelle. Als Christen ist das für uns ein Ansatzpunkt für die Gottesfrage. Man kann die Frage freilich auch zynisch stellen. Freunde der Gelehrsamkeit haben in der Frage schon das Konzept von Religion als Kontingenzbewältigung von Hermann Lübbe erkannt. Die Frage ist, ob dieser Zweck oder diese Funktion Religion in ihren Kern beschreiben kann.
Die Erklärungsfunktion von Religion für Fragen, die sich nicht anders beantworten lassen, ist eher fragwürdig. Damit entsteht der Eindruck, alle Fragen befänden sich auf derselben kognitiven Ebene und wären mit einfachen Sätzen zu beantworten. Dann lässt sich jede Religion durch ein anderes Wissen ablösen und umgekehrt wäre eine Wissenschaft immer auch Religion. Aber die menschlichen Grundfragen, die das Geschäft der Religion ausmachen, lassen sich gar nicht notwendig beantworten. Sie müssen gestellt, erfahren, ausgehalten werden. Erst dann können sich Wege zur Beantwortung auftun. Das ist ein ganz anderer epistemischer Zugang, als bei Naturwissenschaften
Religion trägt definitiv zum Zusammenhalt der Gruppe bei, nach innen jedenfalls. Das Christentum und in gewisser Weise auch das Judentum sind von Momenten geprägt, die auch Fremde in diesen Zusammenhalt integrieren, also auf ihre eigene Weise aufklärend wirken und die Gruppe nach außen öffnen. “Strapazen“ oder “Feinde“ braucht man dafür nicht bemühen. Die können selbst den Zusammenhalt fördern - oder brüchig werden lassen, ganz unabhängig von Religion. Allenfalls kann eine Religion helfen, mit ihnen besser zurechtzukommen.
Alle drei Ideen haben ihren Reiz, wenn man über Religionen nachdenkt, greifen aber eindeutig zu kurz. Die Vorentscheidung für eine passende Bestimmung muss die Transzendenz und die menschliche Transzendenzfähigkeit in Betracht ziehen. Wird sie von vornherein ausgeschlossen, kann es nur pragmatische Erklärungen geben, die von anderen Vorentscheidungen anhängen. Freilich werden die Religionen selbst dabei nicht besonders ernst genommen.
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