Wie kann es sein, dass Gott die Opferung eines Kindes verlangt? Im Buch Genesis (22,1-19) wird davon erzählt, Abraham sollte seinen Sohn Isaak opfern. Aber wie kann das sein? Gott schenkt ihm den lange ersehnten Sohn, und dann will er ihn zurück haben? Muss man für Gott auf das Liebste verzichten? So wird diese schwierige Perikope oft verstanden und kritisiert. Hier sei doch von einem Gott die Rede, der selbst ein Gewalttäter ist, der Blut fließen sehen möchte. Und dann überlegt er es sich im letzten Moment anders, ist also nicht einmal konsequent.
Vielleicht aber macht eine andere Lesart verständlicher, worum es in dieser wohl sehr alten Erzählung geht. Abraham ist ein gläubiger Mensch, ein Frommer, der in seinem Bemühen, mit Gott im Reinen zu sein, ein Vorbild ist. Er versucht, Gott richtig zu verstehen. Eines Tages hört er, Gott möchte, dass er ihm nichts vorenthalte, auch das nicht, was ihm selbst am wichtigsten ist. Und das kann nur sein Sohn sein, auf den er alle seine Hoffnungen gesetzt hat. Dann denkt er sich: bei den anderen Völkern gibt es das. Sie opfern ihre Erstgeborenen, wenn sie besonders fromm sind. Deren Götter brauchen das, vielleicht ist das bei meinem Gott auch so. Er packt alles zusammen und geht weit weg.
Da wird nicht viel geredet. Es gibt nur die besorgten Fragen des Isaak: Warum haben wir alles mit, nur kein Opfertier? Das braucht man doch. Abraham sagt: Gott wird sich das Opfer aussuchen. Dann legt er ihn zurecht und meint, das muss wohl richtig sein, Gott verlangt den Sohn. Dann aber sagt Gott: Nein! Du sollst ihn nicht töten. Und das heißt: Gott will keine Menschenopfer. Er will, dass wir die anderen nicht für uns beanspruchen, auch die eigenen Kinder nicht. Aber opfern sollen wir sie nicht, sondern mit ihnen gemeinsam Gott begegnen. Denn anders als die anderen Völker das damals sehen, ist Gott für die Menschen da und nicht umgekehrt.
Das Opfertier für den Gottesdienst schickt Gott selbst. Er ist gewissermaßen wie ein Gast, den ich zum Festmahl einlade, und der nicht nur sein eigenes Essen mitbringt, sondern das Festmahl für alle.
Mir scheint, Abraham hat falsch verstanden, worum es geht. Und die Erzählung möchte alle, die das auch so verstehen, mitnehmen, damit sie besser verstehen, worauf es wirklich ankommt.