Anders
als in der Religion Israels zur Zeit des Tempels oder im Islam kennt
das Christentum keine verpflichtenden Wallfahrten. Gott kann überall
angebetet und verehrt werden, am besten “im Geist und in der Wahrheit”,
wie Jesus selbst sagt (Joh 4,23-24). Und dennoch machen sich viele
Christen auf den Weg, viele davon zu Fuß. Die Wallfahrt nach Santiago de
Compostela, der “Camino”, wird sogar von vielen Menschen gegangen, die
sich selbst nicht als Christen bezeichnen. Auch für mich selbst ist das
Wallfahren eine wichtige, schöne Erfahrung. So Gott will werde ich mich
mit einer kleinen Gruppe demnächst wieder auf den Weg machen.
Christsein
heißt unterwegssein, und so ist eine Wallfahrt ein Bild des
christlichen Lebens. Der Glaube beginnt mit einer Erneuerung, einer
Bekehrung, einem Aufbruch. Zuerst muss ich von dem Vertrauten weggehen,
vieles zurücklassen, was mir vielleicht lieb geworden ist, aber mich oft
auch behindert. Genauso ist es bei der Wallfahrt. Ich gehe von zu Hause
weg und kann nur das Nötigste mitnehmen. Die Erfahrung sagt allzu oft,
dass sogar das, was ich für das Nötigste hielt, noch oftmals viel zu
viel ist.
Am
Weg kann man nur sein, wenn man ein Ziel hat. Wer das Ziel vergisst,
läuft nur mehr ziellos umher und ist unzufrieden. Am Weg sein heißt
auch, mit dem auszukommen, was es unterwegs gibt, und den Leuten am Weg
freundlich, nämlich in der Art von Freunden zu begegnen. Wer sich
bewusst ist, dass als Mensch zu leben unterwegssein bedeutet, hat einen
anderen Zugang zum Leben als die, die darin die letzte Gelegenheit sehen
und sich deshalb an allem festklammern müssen. Die Erfahrung der
Wallfahrt ermöglicht, Manches zurückzulassen und Dinge zu sehen, die mir
sonst verborgen bleiben, wenn ich total in meinen Alltag eingespannt
bin. Unterwegssein heißt aber auch, sich auf den Weg konzentrieren,
einmal bewusst zu gehen und mich nicht gehen zu lassen, die eigenen Füße
spüren und dabei auch die Grenzen anerkennen.
Die
Motivation für das Gehen geht vom Ziel aus. Der Blick richtet sich nach
vorne, ich gehe auf etwas zu. Gleich ob Jerusalem, Rom, Santiago oder
Mariazell, wenn ich mein Wallfahrtsziel erreiche, begegne ich Gott.
Jedes Ankommen ist ein Stück Erfüllung und macht mich sicher, dass mein
Leben nicht nur einfach so dahinläuft. Oft haben wir Menschen vor dem
Ankommen Angst, machen Aufgaben nicht ganz fertig, wollen etwas
Erledigtes nicht abgeben und haben besonders Angst vor dem Tod. Wenn
etwas endgültig ist, also am Ende gilt, dann muss ich die Verantwortung
übernehmen, darf es aber auch aus der Hand geben. Wo nur die eigene
Leistung zählt, habe ich Angst, es könnte immer noch etwas zu wenig
sein. Bei Gott aber zähle ich selbst, so wie ich bin, mit allen
Unzulänglichkeiten. Das erfahre ich am eigenen Leib, wenn ich am Ziel
meiner Wallfahrt ankomme.
Dann
gilt es, wieder in den Alltag zurückzukehren und die Erfahrungen der
Wallfahrt mitzunehmen. Das ist nicht leicht. Denn im Alltag bin ich noch
nicht am Ziel des Lebens. Wenn ich aber die Erfahrung des Ankommens
gemacht habe, ist für meinen Weg etwas Entscheidendes gewonnen, das mir
das Leben leichter macht.
Viele
Christen gehen heute gerne auf Wallfahrt, weil sie ihren Glauben damit
ganz direkt am eigenen Leib erfahren können. In einer Zeit, in der kein
Raum und vor allem keine Zeit für eigene Erfahrungen ist, tut das sehr
gut. Auch ein glaubender Mensch braucht solche leibhaftigen Erfahrungen.
Wer einmal seine ganze Kraft investiert hat, um zu pilgern, weiß, wie
viel er auf der Wallfahrt und im Leben geschenkt bekommen hat, weiß, was
Gott für sein Leben bedeutet.
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