Dienstag, 19. August 2014

Christen auf Wallfahrt

Anders als in der Religion Israels zur Zeit des Tempels oder im Islam kennt das Christentum keine verpflichtenden Wallfahrten. Gott kann überall angebetet und verehrt werden, am besten “im Geist und in der Wahrheit”, wie Jesus selbst sagt (Joh 4,23-24). Und dennoch machen sich viele Christen auf den Weg, viele davon zu Fuß. Die Wallfahrt nach Santiago de Compostela, der “Camino”, wird sogar von vielen Menschen gegangen, die sich selbst nicht als Christen bezeichnen. Auch für mich selbst ist das Wallfahren eine wichtige, schöne Erfahrung. So Gott will werde ich mich mit einer kleinen Gruppe demnächst wieder auf den Weg machen.

Christsein heißt unterwegssein, und so ist eine Wallfahrt ein Bild des christlichen Lebens. Der Glaube beginnt mit einer Erneuerung, einer Bekehrung, einem Aufbruch. Zuerst muss ich von dem Vertrauten weggehen, vieles zurücklassen, was mir vielleicht lieb geworden ist, aber mich oft auch behindert. Genauso ist es bei der Wallfahrt. Ich gehe von zu Hause weg und kann nur das Nötigste mitnehmen. Die Erfahrung sagt allzu oft, dass sogar das, was ich für das Nötigste hielt, noch oftmals viel zu viel ist.

Am Weg kann man nur sein, wenn man ein Ziel hat. Wer das Ziel vergisst, läuft nur mehr ziellos umher und ist unzufrieden. Am Weg sein heißt auch, mit dem auszukommen, was es unterwegs gibt, und den Leuten am Weg freundlich, nämlich in der Art von Freunden zu begegnen. Wer sich bewusst ist, dass als Mensch zu leben unterwegssein bedeutet, hat einen anderen Zugang zum Leben als die, die darin die letzte Gelegenheit sehen und sich deshalb an allem festklammern müssen. Die Erfahrung der Wallfahrt ermöglicht, Manches zurückzulassen und Dinge zu sehen, die mir sonst verborgen bleiben, wenn ich total in meinen Alltag eingespannt bin. Unterwegssein heißt aber auch, sich auf den Weg konzentrieren, einmal bewusst zu gehen und mich nicht gehen zu lassen, die eigenen Füße spüren und dabei auch die Grenzen anerkennen.

Die Motivation für das Gehen geht vom Ziel aus. Der Blick richtet sich nach vorne, ich gehe auf etwas zu. Gleich ob Jerusalem, Rom, Santiago oder Mariazell, wenn ich mein Wallfahrtsziel erreiche, begegne ich Gott. Jedes Ankommen ist ein Stück Erfüllung und macht mich sicher, dass mein Leben nicht nur einfach so dahinläuft. Oft haben wir Menschen vor dem Ankommen Angst, machen Aufgaben nicht ganz fertig, wollen etwas Erledigtes nicht abgeben und haben besonders Angst vor dem Tod. Wenn etwas endgültig ist, also am Ende gilt, dann muss ich die Verantwortung übernehmen, darf es aber auch aus der Hand geben. Wo nur die eigene Leistung zählt, habe ich Angst, es könnte immer noch etwas zu wenig sein. Bei Gott aber zähle ich selbst, so wie ich bin, mit allen Unzulänglichkeiten. Das erfahre ich am eigenen Leib, wenn ich am Ziel meiner Wallfahrt ankomme.

Dann gilt es, wieder in den Alltag zurückzukehren und die Erfahrungen der Wallfahrt mitzunehmen. Das ist nicht leicht. Denn im Alltag bin ich noch nicht am Ziel des Lebens. Wenn ich aber die Erfahrung des Ankommens gemacht habe, ist für meinen Weg etwas Entscheidendes gewonnen, das mir das Leben leichter macht.

Viele Christen gehen heute gerne auf Wallfahrt, weil sie ihren Glauben damit ganz direkt am eigenen Leib erfahren können. In einer Zeit, in der kein Raum und vor allem keine Zeit für eigene Erfahrungen ist, tut das sehr gut. Auch ein glaubender Mensch braucht solche leibhaftigen Erfahrungen. Wer einmal seine ganze Kraft investiert hat, um zu pilgern, weiß, wie viel er auf der Wallfahrt und im Leben geschenkt bekommen hat, weiß, was Gott für sein Leben bedeutet.

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