Dienstag, 26. August 2014

Schuld und Sühne

So hat man den Titel des berühmten Romans von Fjodor Dostojewski meist übersetzt, während für die neueste Übersetzung “Verbrechen und Strafe” bevorzugt wird. Der russische Originaltitel “Prestuplenije i nakasanie” lässt sich nicht leicht übersetzen. Vermutlich liegt die richtige Wiedergabe für unser heutiges Sprachempfinden irgendwo zwischen diesen beiden Varianten.

Heute redet man allerdings nicht mehr gerne über Schuld und Sünde, diese beiden Begriffe scheinen in eine große Mottenkiste zu gehören. Letzte Woche war ich auf Wallfahrt und habe darüber nachgedacht, dass früher Menschen auf Wallfahrt gegangen sind, um Vergebung für ihre Sünden zu erlangen. Aber wer braucht heute noch Vergebung, in einer Zeit, in der niemand selbst sündigt, daher niemand selbst Schuld auf sich geladen hat. Schuld haben, so entsteht zumindest der Eindruck, immer andere. Dann brauche ich auch nicht um Entschuldigung zu bitten, und so etwas Antiquiertes wie Sühne hat ausgedient.

So richtig es scheint, so falsch ist es. Sühne hat nichts damit zu tun, dass jemand bestraft wird oder freiwillig Leid auf sich nehmen muss für sich selbst oder andere. Und schon gar nicht geht es um Rache. Sühne kommt von der Versühnung, die nach einer Lautverschiebung uns heute als Versöhnung bekannt ist. Wenn eine Beziehung zu anderen Menschen oder auch zu mir selbst und letztlich zu Gott zerbrochen ist, braucht es eine Versöhnung. Die führt aber nie zu einem früheren Zustand zurück, wo scheinbar noch alles in Ordnung war, sondern verlangt immer nach einem Neuanfang. Davor muss die Schuld bewusst abgetragen, die Sünde aufgearbeitet werden.

Einen solchen Neuanfang brauche ich immer wieder. Und die Wallfahrt ist jedesmal ein Neuanfang. Vielleicht ist daher die Idee, auf Wallfahrt zu gehen, um Sünde und Schuld loszuwerden, gar nicht so unaktuell. Vieles erscheint nach der Wallfahrt klarer, ich habe Motivation und Kraft, neu anzufangen und vielleicht auch den Mut, die eine oder den anderen um Entschuldigung zu bitten. Und dann ist Sühne heilsam, eine Wohltat.

Dienstag, 19. August 2014

Christen auf Wallfahrt

Anders als in der Religion Israels zur Zeit des Tempels oder im Islam kennt das Christentum keine verpflichtenden Wallfahrten. Gott kann überall angebetet und verehrt werden, am besten “im Geist und in der Wahrheit”, wie Jesus selbst sagt (Joh 4,23-24). Und dennoch machen sich viele Christen auf den Weg, viele davon zu Fuß. Die Wallfahrt nach Santiago de Compostela, der “Camino”, wird sogar von vielen Menschen gegangen, die sich selbst nicht als Christen bezeichnen. Auch für mich selbst ist das Wallfahren eine wichtige, schöne Erfahrung. So Gott will werde ich mich mit einer kleinen Gruppe demnächst wieder auf den Weg machen.

Christsein heißt unterwegssein, und so ist eine Wallfahrt ein Bild des christlichen Lebens. Der Glaube beginnt mit einer Erneuerung, einer Bekehrung, einem Aufbruch. Zuerst muss ich von dem Vertrauten weggehen, vieles zurücklassen, was mir vielleicht lieb geworden ist, aber mich oft auch behindert. Genauso ist es bei der Wallfahrt. Ich gehe von zu Hause weg und kann nur das Nötigste mitnehmen. Die Erfahrung sagt allzu oft, dass sogar das, was ich für das Nötigste hielt, noch oftmals viel zu viel ist.

Am Weg kann man nur sein, wenn man ein Ziel hat. Wer das Ziel vergisst, läuft nur mehr ziellos umher und ist unzufrieden. Am Weg sein heißt auch, mit dem auszukommen, was es unterwegs gibt, und den Leuten am Weg freundlich, nämlich in der Art von Freunden zu begegnen. Wer sich bewusst ist, dass als Mensch zu leben unterwegssein bedeutet, hat einen anderen Zugang zum Leben als die, die darin die letzte Gelegenheit sehen und sich deshalb an allem festklammern müssen. Die Erfahrung der Wallfahrt ermöglicht, Manches zurückzulassen und Dinge zu sehen, die mir sonst verborgen bleiben, wenn ich total in meinen Alltag eingespannt bin. Unterwegssein heißt aber auch, sich auf den Weg konzentrieren, einmal bewusst zu gehen und mich nicht gehen zu lassen, die eigenen Füße spüren und dabei auch die Grenzen anerkennen.

Die Motivation für das Gehen geht vom Ziel aus. Der Blick richtet sich nach vorne, ich gehe auf etwas zu. Gleich ob Jerusalem, Rom, Santiago oder Mariazell, wenn ich mein Wallfahrtsziel erreiche, begegne ich Gott. Jedes Ankommen ist ein Stück Erfüllung und macht mich sicher, dass mein Leben nicht nur einfach so dahinläuft. Oft haben wir Menschen vor dem Ankommen Angst, machen Aufgaben nicht ganz fertig, wollen etwas Erledigtes nicht abgeben und haben besonders Angst vor dem Tod. Wenn etwas endgültig ist, also am Ende gilt, dann muss ich die Verantwortung übernehmen, darf es aber auch aus der Hand geben. Wo nur die eigene Leistung zählt, habe ich Angst, es könnte immer noch etwas zu wenig sein. Bei Gott aber zähle ich selbst, so wie ich bin, mit allen Unzulänglichkeiten. Das erfahre ich am eigenen Leib, wenn ich am Ziel meiner Wallfahrt ankomme.

Dann gilt es, wieder in den Alltag zurückzukehren und die Erfahrungen der Wallfahrt mitzunehmen. Das ist nicht leicht. Denn im Alltag bin ich noch nicht am Ziel des Lebens. Wenn ich aber die Erfahrung des Ankommens gemacht habe, ist für meinen Weg etwas Entscheidendes gewonnen, das mir das Leben leichter macht.

Viele Christen gehen heute gerne auf Wallfahrt, weil sie ihren Glauben damit ganz direkt am eigenen Leib erfahren können. In einer Zeit, in der kein Raum und vor allem keine Zeit für eigene Erfahrungen ist, tut das sehr gut. Auch ein glaubender Mensch braucht solche leibhaftigen Erfahrungen. Wer einmal seine ganze Kraft investiert hat, um zu pilgern, weiß, wie viel er auf der Wallfahrt und im Leben geschenkt bekommen hat, weiß, was Gott für sein Leben bedeutet.

Mittwoch, 13. August 2014

Kirchen im Deutschen Reich, oder: Was hätte ich getan?

Dieser Tage wird einiger Märtyrer gedacht, die von Nationalsozialisten getötet wurden. Am 8. August Edith Stein, die als Karmelitin den Namen Sr. Theresia Benedicta a Cruce trug und als Jüdin in Auschwitz umgebracht wurde; am 13. August Jakob Gapp, der 1943 in Berlin Plötzensee hingerichtet wurde, weil er offen gegen das Regime eintrat; am 14. August Maximilian Kolbe, der 1941 für einen Familienvater in Auschwitz in den Hungerbunker ging und dort starb. Sie und viele andere Priester, Ordensleute und einfache Gläubige sind für ihren Glauben und gegen die nationalsozialistische Ideologie eingetreten und wurden dafür getötet.

Wie aber steht es um das Verhältnis der Kirche generell zum Nationalsozialismus? Oftmals wird heute an diese Glaubenszeugen erinnert. Freilich hat es auch andere gegeben, Kollaborateure oder begeisterte Anhänger des Führers. Und viele haben sich einfach ruhig verhalten. Während für die einen ganz klar Nationalsozialismus mit dem Glauben unvereinbar ist, die Kirchen daher immer als Elemente des Widerstands gesehen werden, behaupten andere, die Kirche habe eigentlich sich den Machthabern angedient, nur eine Minderheit habe Widerstand geleistet, die auch noch von den eigenen Leuten dafür in Gefahr gebracht worden sei. Und für alle Positionen gibt es Belege. Die Fakten sind nicht klar und eindeutig, wie ja auch die Wirklichkeit selten eindeutig ist.

Freilich stellt sich für mich auch noch eine andere Frage. Von welcher Warte aus lässt sich heute beurteilen, welches Handeln richtig gewesen wäre? Wie kann ich heute sagen, was damals ein Bischof, ein Pfarrer oder ein einfacher Katholik hätte tun sollen? Wenn man die einschlägigen Veröffentlichungen liest, entsteht der Eindruck, wir heute wären alle überzeugte Anhänger des Widerstands gewesen und hätten Adolf Hitler in Bausch und Bogen abgelehnt. Aber was wussten die Menschen damals wirklich? Und mit welchem Recht verurteile ich einen Bischof heute, dem damals jemand eingeredet hatte, das Regime sei gut für die Kirche, weil es ja den so gefürchteten Kommunismus bekämpfe? Dass der Kampf gegen die Kirche noch viel schlimmer würde, war nicht für alle vorauszusehen. Und wie soll ich jemandem vorhalten, dass er Sympathie für eine Politik empfand, die ihm mitten in der Wirtschaftskrise Arbeit versprach und brachte, auch wenn damit dann Waffen gebaut wurden?

Mögen diese Zeiten nie wieder kommen. Und ich hoffe, dass ich keiner politischen Verführung erliege, die ein neues Unrechtsregime an die Macht bringt. Es gibt dafür keine Garantie, auch für Christen nicht. Aber zumindest gibt der Glaube einen klaren Weg vor, sich nicht von irdischen Mächten führen zu lassen, denn: “Einer ist euer Führer, euer Führer ist Christus, wenn ihr Ihm die Treue haltet, werdet ihr niemals verloren gehen”, wie der viel geschmähte Wiener Kardinal Theodor Innitzer 1938 sagte.